"Find your purpose!" schreit es gerade so ziemlich von allen Dächern. Puh! Erst wollen alle, dass ich positiver denke, dann soll ich besser atmen und jetzt darf ich auch noch mein "Warum" im Leben finden? Das ist doch nur wieder so ein Hype!
Zugegeben, ich bin auch kein Fan von medial zelebrierten Themen, die kurzfristig hochgeschaukelt werden, um dann vom nächsten Hype überrannt zu werden. Schon gar nicht, wenn es um unsere Lebensgestaltung geht. Wir kommen von Optimismus zur Achtsamkeit zur Selbstfürsorge und jetzt auch noch zur Sinnfindung. Und alles für das wohlklingende Versprechen: uns glücklicher zu machen.
Optimismus, Achtsamkeit und Selbstfürsorge sind bereits weit verbreitete, anerkannte Glücksmacher und es gibt jeweils eine Vielzahl an Angeboten in jeglichen Formaten. Einer meiner Lieblingsvordenker zum Thema Optimismus ist der Unternehmensberater und Autor Simon Sinek, der übrigens auch einen Grundstein für das Thema Visionsfindung gelegt hat. Allerdings zunächst im Unternehmenskontext. In seinem Buch "Start with why" beschreibt er das Modell des "Golden Circle" als Modell für eine intentions- statt angebotsorientierte Unternehmenskommunikation: kommend vom "Warum", über das "Wie" bis hin zum eigentlich "Was" beschreibt er, wie erfolgreiche Unternehmen immer erst den Sinn in ihrem Tun erklären, bevor sie sagen, auf welche Weise sie dies tun und welches Angebot sie dafür bereitstellen.
Nun finden die Begriffe "Purpose" und "Vision" zunehmend ihren Weg in den privaten Bereich. In der ersten Übersicht scheinen die Begriffe ineinander zu verschmelzen und je nach Kontext, ob im beruflichen oder privaten, finden wir auch jeweils unterschiedliche Interpretationen. Aber schauen wir uns zunächst jeden Begriff einmal genauer an.
Purpose, Mission, Vision - was ist eigentlich was?
Vielleicht geht es dir wie mir zu Beginn - ich konnte mit den neuen Buzzwords "Purpose" und "Vision" im privaten Kontext erstmal nicht viel anfangen. Viele von uns kennen die Begriffe eher aus dem unternehmerischen Zusammenhang. Die Vision, gemeinsam mit der Mission und den Werten, bildet das Fundament eines Unternehmensleitbilds. Ich muss gestehen, dass ich bereits in meiner Marketing-Karriere ein Herz für starke Markenvisionen hatte. Und heute als Life Coach weiß ich: das lässt sich auch auf unser Leben übertragen.
Vision
Eine Vision ist gemäß Duden: „in jemandes Vorstellung besonders in Bezug auf Zukünftiges entworfenes Bild“ (2) . Mit anderen Worten, es ist die Anschauung, wie wir die Welt, die Gesellschaft oder unser Leben in der Zukunft sehen bzw. sehen wollen. Als Frage formuliert: "Wie stellst du dir dein Leben, die Gesellschaft oder die Welt in der Zukunft vor?". Und mit positiver Ausrichtung: "Wie sollte dein Leben, die Gesellschaft und die Welt idealerweise aussehen?"
Die Vision ist also ein gewünschter Soll-Zustand. Daraus abgeleitet ergibt sich der Zweck des Handelns, also der Purpose.
Purpose
Der englische Begriff hat allein laut dem Online-Wörterbuch LEO mehr als 10 verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten: angefangen von "Zweck" über "Bestimmung" bis hin zu "Absicht". Genauso vielfältig wie die Übersetzungen sind auch die Auslegungen des Begriffs. Zur Vereinfachungen nehmen wir mal die Übersetzung "Zweck"- darunter versteht der Duden wiederum: "etwas, was jemand mit einer Handlung beabsichtigt, zu bewirken, zu erreichen sucht; [Beweggrund und] Ziel einer Handlung" (1) . Einfacher gesprochen - dein Purpose ist das Ergebnis, das du mit deinem Tun erreichen möchtest. Oder als Frage formuliert: "Welchen (positiven) Beitrag möchtest du leisten?".
Es bezieht sich auf die externe Veränderung, die du erzielen möchtest.
Kleine Anmerkung meinerseits: häufig wird der Begriff Purpose in der deutschen Interpretation auch mit dem Begriff "Sinn" in Zusammenhang gebracht, der im Englischen aber eher mit "meaning" übersetzt würde. Der Sinn oder die Bedeutung einer Handlung sind aber wiederum persönlichen Ursprungs und stark emotional behaftet. Er steht für das wirkliche "Warum", sprich der ganz eigenen Motivation hinter dem Tun.
Der Sinn bezieht sich also auf deine interne Motivation des Handelns.
Wir können demnach unterscheiden (2) :
- Purpose (Zweck, Absicht): The impact we want to have.
- Meaning (Sinn, Bedeutung): Why we do it.
Mission
Der deutsche Begriff "Mission" bezeichnet gemäß Duden vor allem einen "Auftrag" (3) , den wir für jemanden oder für einen bestimmten Zweck erfüllen. Von der gewünschten Vision her kommend, sind es die spezifischen Aufgaben, die sich daraus ableiten. Allgemein formuliert: "Wie kommen wir vom jetzigen Ist-Zustand zum gewünschten Soll-Zustand?".
Hier ein Praxisbeispiel
Was wünscht sich die aequal Company? (Vision):
Die Gründer:innen von aequal wünschen sich eine Gesellschaft, in der Mann und Frau vollkommen gleichberechtigt sind. Eine Gesellschaft, in der ihre Söhne und Töchter die gleichen Chancen auf Selbstverwirklichung haben.
Warum? (emotionale Bedeutung, Sinn):
Diesen Zustand wollen sie erreichen, weil sie ihre Kinder lieben und sie nichts sehnlicher wollen, als dass ihre Kinder gleichermaßen glücklich werden können. Die Gründerinnen haben die Diskriminierung am Arbeitsplatz als Mütter selbst erfahren und wollen diesen Zustand nicht mehr akzeptieren.
Welchen Beitrag wollen sie dafür leisten? (Purpose):
Den größten Hebel sehen sie dabei momentan in der Arbeitswelt. Daher setzen sie sich verstärkt für die Gleichberechtigung von Mann und Frau am Arbeitsplatz ein.
Wie wollen sie das erreichen? (Mission):
Das tun sie, indem sie ihre Generation über die noch vorherrschende Diskriminierung aufklären und sie dazu mobilisieren, sich gegen die Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz zu wehren.
Eine letzte Anmerkung zu den Begrifflichkeiten: sobald du woanders über diese Begriffe stolperst, wirst du womöglich eine andere Interpretation finden. Am Ende finde ich, müssen wir es doch gar nicht so genau nehmen. Selbst Simon Sinek wirft in seinem Modell des "Golden Circle" die Begriffe Purpose, Sinn und Vision gemeinsam in seinen "Why"-Topf ohne die konkrete Unterscheidung vorzunehmen. Am Ende steht das "Why" für die einzigartige intrinsische Motivation hinter jedem Tun, sowohl im unternehmerischen als auch im privaten Kontext.
Nachdem du nun eine Übersicht über die Begrifflichkeiten bekommen hast, fragst du dich vielleicht: und wie bitte soll jetzt eine Vision dabei helfen, mich glücklicher zu machen?
Und damit kommen wir nun zum Konzept der Lebensvision.
Was ist eine Lebensvision?
Auch für den Begriff der Lebensvision gibt es unzählige verschiedene Definitionen und Interpretationen, was sie beinhalten könnte. Abgeleitet von der allgemeinen Definition des Begriffs "Vision", ist die Lebensvision demnach eine ganzheitliche und möglichst detaillierte Vorstellung davon, wie du dein Leben in Zukunft am liebsten verbringen möchtest. Und mal Hand auf's Herz - wir haben sie doch alle: die Wünsche, die in uns schlummern. Die Bilder im Kopf, die in uns Sehnsüchte hervorbringen. Das besondere Leben, das wir gerne leben würden.
Eine Lebensvision umfasst in meiner Arbeit die folgenden vier Bereiche:
1. das Wunschbild einer idealen Welt / Gesellschaft
- Wie sollten die Menschen miteinander umgehen?
- In was für einer Welt möchtest du leben?
- Welche Veränderung möchtest du in der Welt sehen?
2. das Wunschbild des Beitrags zu dieser Welt
- Welchen Einfluss möchtest du nehmen?
- Was möchtest du dafür tun, dass dieser Zustand erreicht wird?
- Wie möchtest du das erreichen?
3. das Wunschbild der Lebensumstände
- Wie, wo und mit wem möchtest du leben?
- Wie, wo und mit wem möchtest du arbeiten?
- Wie möchtest du finanziell aufgestellt sein?
- Wer und was darf in deinem Leben nicht fehlen?
- Was möchtest du erleben, lernen, entdecken?
- Womit möchtest du deine freie Zeit verbringen?
4. das Wunschbild des Selbst
- Wie und wer möchtest du sein?
- Welche Eigenschaften möchtest du verkörpern?
- Wie möchtest du sprechen, handeln, reagieren?
- Wofür möchtest du (ein)stehen?
- Was möchtest du für andere sein? Wie sollen andere dich sehen?
- Wofür möchtest du anerkannt werden
Diese vier Wunschvorstellungen basieren auf denselben zugrunde liegenden persönlichen Werten. Die Werte fungieren dabei wie ein Kompass, die auf der Suche nach den Antworten die Richtung weisen.
Noch eine Ergänzung: so wie im Unternehmenskontext, entsteht auch die Lebensvision aus einem Warum, also dem emotionalen, persönlichen Grund, warum dieser Zustand erwünscht wird. Und ich werde nicht müde, genau nach diesem Warum zu fragen. Aus folgendem Grund:
Was ist eine Lebensvision nicht?
Eine Lebensvision ist kein von extern übernommenes Bild eines sogenannten Traumlebens. Es geht nicht darum, ab sofort nicht mehr arbeiten zu müssen, die teuersten Autos zu fahren oder nur noch Champagner-Partys am Pool zu feiern. Ja, das darf dein Traum sein. Aber ich frage dann: warum? Welchen Sinn erfüllt dieser Lebensstil langfristig für dich? Was möchtest du damit erreichen? Falls es darum geht, "es allen beweisen zu wollen", ist dies eine extrinsische, also von außen getriebene, Motivation. Die Absicht hinter dieser Vision läge also darin, möglichst viel Anerkennung anderer Personen zu erlangen. Dieser Wunsch nach Belohnung ist weit verbreitet, macht aber nicht dauerhaft glücklich. Aus der Motivationsforschung geht hervor(5), dass nur diejenigen Motive glücklich machen, die uns als an sich interessant oder angenehm scheinen.
Außerdem:
- Die Lebensvision ist kein Allheilmittel: sie hilft dir nicht, alle einzelnen Lebensbereiche auf einen Schlag zu verbessern.
- Sie ist auch kein Sofort-Glücksbringer: das Wunschbild alleine macht nicht glücklich. Erst, wenn wir für sie losgehen, sehen wir erste Erfolge und können Erfüllung im Tun spüren.
- Sie ist auch nicht in Zielen formuliert. Vielmehr bildet sie die Basis für diese messbaren Erfolgsetappen.
Kurzum: damit deine Vision dich langfristig motiviert, sollte sie aus rein internen Anreizen entstehen. Sie kann dir eine wunderbare Grundlage für deinen Weg in ein erfülltes Leben bieten - aber die Lebensvision allein ist nicht der heilige Gral des ewigen Glücks.
Welche Vorteile bringt dir eine Lebensvision?
1. Sie verleiht dir Kraft.
Du weißt, wofür du morgens aufstehst und du startest motiviert in den Tag. Du fällst abends glücklich ins Bett, weil du weißt, wofür du das alles tust und wofür du am nächsten Tag deine Energie einsetzen wirst.
2. Sie gibt dir Orientierung.
Deine Vision dient dir wie dein Nordlicht, das dir auch in völliger Dunkelheit den Weg leuchtet. Denn, jedes Leben kennt seine Schattenseiten und die Vision hilft dir, den Fokus nicht aus den Augen zu verlieren.
3. Sie gibt dir Durchhaltevermögen.
Es werden Momente kommen, die dich zweifeln lassen oder die dich zurückwerfen auf deinem Weg zu deiner Vision. Je mehr du an deine Vision glaubst, desto mehr wird sie auch zu deiner unerschöpflichen Quelle für Vertrauen und Zuversicht, dass du sie tatsächlich erreichen kannst.
4. Wie findest du deine Vision?
Hilfe! Jetzt kommt der Verkaufspart! Nein, keine Angst, ich will dir nichts aufbinden.
Du kannst dir selbst ganz viele Gedanken machen, wie du dein Leben in Zukunft gestalten möchtest. Nimm dir dafür die oben genannten Fragen für jedes der vier Wunschbilder zur Hand und halte für dich fest, was dir dabei in den Kopf schießt. Jede Antwort ist richtig und niemals in Stein gemeißelt.
Je konkreter du dabei wirst, desto mehr kannst du die Vorstellung auch verinnerlichen und dich in deine Vision hineinfühlen. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Deine Gedanken sind dein geschützter Raum, niemand braucht davon zu erfahren.
Um deine gewünschte Vorstellung noch näher zu detaillieren, kannst du auch zusätzlich einen Idealzustand für deine wichtigsten Lebensbereiche definieren.
Hier findest du eine Übersicht der möglichen Lebensbereiche:
- Liebe / Partnerschaft
- Freunde / Gemeinschaft
- Familie
- Körperliche und geistige Gesundheit
- Finanzen
- Job / Karriere / Selbstverwirklichung
- Freizeit / Spaß / Flow
- Lernen / Persönliches Wachstum
- Spiritualität / Religion
- Physische Umgebung / Wohnort / Wohnumgebung
Extra-Tipp:
Wenn es dir schwerfällt, dir ein Bild deines Lebens in der Zukunft vorzustellen, können Fantasiereisen oder angeleitete Meditationen helfen, deine Imaginationskräfte zu stärken. Mit ein bisschen Übung schaffst du es vielleicht selbst, in einen träumenden, von der Wirklichkeit losgelösten, Zustand zu kommen. Denn, aufgrund unserer vielen Aufgaben im trubeligen Alltag, verlieren wir nur allzu oft den Zugang zu unserer unterbewussten Vorstellungskraft und nehmen uns nur selten die Zeit, einfach mal die Gedanken schweifen zu lassen.
Woher weißt du, dass du deine wahre Vision gefunden hast?
Achtung - platt: Du weißt es einfach. Nein, so einfach ist es aber meistens doch nicht. Es gibt einen goldenen Spruch, mit dem du selbst prüfen kannst, ob du dein tatsächliches Warum als Basis für deine Vision gefunden hast: „If your Why doesn‘t make you cry - then it is not your Why“.
Kurzum - je mehr dich dein Warum emotional berührt, desto näher bist du am Kern deiner wahren Vision. Wenn du laut losheulen möchtest, wenn du dir dieses Bild vor deinem inneren Auge vorstellst, dann bist du ganz sicher auf dem richtigen Weg. Und, naja, dann weißt du es eben einfach.
Wie wird aus der Vision Realität?
Am Anfang steht ein Traum: Noch unkonkret, noch diffus, ein unspezifischer Wunsch, eine unbestimmte Sehnsucht.
Daraus wird deine Vision: Konkret formuliert oder visualisiert, motivierend und allumfassend.
Daraus lassen sich deine Ziele ableiten: Die definierten Etappen für einen festgelegten Zeitraum, die dich schrittweise näher zu deiner Vision bringen. Je kleinteiliger die Ziele formuliert sind, desto einfacher sind sie auch umzusetzen.
Daraus werden erste Schritte: Das sind deine ersten Tätigkeiten, die dich in die Umsetzung und Zielerreichung bringen.
Daraus wird deine Realität: Mit jedem noch so kleinen Schritt kommst du deiner nächsten Etappe näher. Mit jeder erfolgreichen Etappe kommst du deiner großen Vision näher und wächst hinein.
Hand auf's Herz - träumst du noch oder visualisierst du schon?
Egal, an welcher Stelle du gerade im Leben stehst, eine Lebensvision zu entwickeln tut nicht weh. Einzige Nebenwirkung: sie kann dich nachts nicht mehr schlafen lassen, weil du sie ab sofort umsetzen möchtest.
Erlaube dir, groß zu träumen! Aber träumen alleine hilft eben nicht. Erst mit einer konkreten Vision wirst du diesen Traum auch realisieren.
Und erlaube dir auch, den Weg zur Vision zu genießen. Je größer deine Vision ist, desto mehr Zeit darfst du dir auch nehmen, da hineinzuwachsen. Vertraue dem Prozess.
Falls du dich auf diese wundervollen Reise zu deiner Lebensvision einlassen möchtest, lade ich dich ein, dies gerne gemeinsam mit mir zu tun. In meinem Einzelcoaching-Programm "Visionsfindung" biete ich dir den geschützten Raum für dich und deine Ideen. Hier findest du mehr dazu: hier mehr erfahren.
"If you can dream it, you can do it." - Walt Disney